Hän

Diesen Beitrag schrieb ich vor Jahren in meinem damaligen Blog „Im Land der Schneekönigin“. Bei der Neuauflage zum Finnland Reiseführer von Marco Polo, an dem ich mitgearbeitet habe, ging es wieder einmal um die Frage, ob es nun “die” oder “das” Mökki heisst.  Das motivierte mich dazu, diesen Beitrag über die finnische Sprache in meinen neuen Blog aufzunehmen.

Schon als ich noch garnicht sicher war, ob ich diese Sprache überhaupt lernen sollte, da wir eigentlich ja nur 3 Jahre bleiben wollten, hat es mich doch fasziniert, zu verstehen, warum in aller Welt die Dinge in der finnischen Sprache so sind wie sie sind und was dies für das Selbstverständnis eines Volkes bedeutet.

“Hän” fiel mir zum ersten Mal als  Besonderheit auf, als ich mich fragte, warum die Finnen, wenn sie englisch sprechen oder deutsch (es gibt viele ältere Finnen, die noch gut deutsch sprechen), so oft das Geschlecht vertauschen. Sie sagen “er” wenn es “sie” heißen müsste und umgekehrt.

Das liegt daran, dass sie im Finnischen keine geschlechtliche Unterscheidung machen müssen, wenn sie Personen in der dritten Person beschreiben. Hän ist das, was im Deutschen und Englischen immer im Doppelpack auftritt: er und/oder sie. Wenn man nicht spezifiziert, dass es sich bei “hän” um eine Frau (nainen) oder einen Mann (mies) handelt, dann kann man ein finnisches Buch schreiben, ohne das der Leser jemals herausfindet, ob es sich um eine weibliche oder männliche Hauptperson handelt (es sei denn, sie wird schwanger…).

Deutsch ist in dieser Hinsicht natürlich besonders schwer für Finnen, weil die Geschlechtszugehörigkeit ziemlich wahllos verteilt ist. Warum ist der Ahorn männlich und die Buche weiblich oder, noch schlimmer, warum ist das Mädchen eine Sache und die Rübe und die Waschmaschine sind weibliche Wesen?

Das deutsche Wort “man” entspricht dem “hän” eben auch nicht. Es ist eine Bezeichnung für einen eher unpersönlichen, generalisierten Durchschnitt  von männlichen oder weiblichen Wesen. Je nach Zusammenhang “tut man dies oder eben nicht”. Hän ist jedoch eine Bezeichnung für eine bestimmte Person in der Einzahl in der dritten Person Singular, aber eben ohne geschlechtliche Einordnung.

Mann, Frau oder Kind und bei Tierliebhabern auch der Hund sind zuallererst einmal hän und da sind alle gleich. Ich habe mich dann entschlossen, hän mit “Mensch” oder “lebendes Wesen” zu übersetzen, Wörterbuch zum Trotz.

Vielleicht liegt hier der Schlüssel für die relativ starke Gleichberechtigung der Geschlechter in Finnland. Sie haben, allein durch ihre Sprache, eine Basis, wo Frau und Mann gleich sind, eben hän. Wenn eine Frau ihre Meinung sagt, und zitiert wird, dann ist sie genauso “hän” wie ein Mann.  Im Deutschen kommt “man” immer differenziert nach männlich, weiblich oder sächlich auf die Welt, aus der “Sache Mädchen” wird dann irgendwann eine “sie”.

An der Geschlechtszuweisung hängen natürlich immer auch Assoziationen, die jeder Person automatisch mitgegeben werden. Ich äußere mich daher im Deutschen immer als Frau oder als Mann. Die Anzahl an Untersuchungen ist Legende, die klar belegen, dass im Deutschen diegleichen Aussagen unterschiedliche Wirkung entfalten, je nachdem, ob sie von einem “er” oder einer “sie” stammen.  Eine gemeinsame sprachliche Basis gibt es einfach nicht, man ist immer geteilt oder “polarisiert”.

Die Finnen haben “hän”. Sie sind zuallererst mal alle “Mensch”. Und jetzt forsche ich natürlich darüber, welche Assoziationen mit “hän” verbunden sind. Wenn ich diese Forschung abgeschlossen habe und mir die Assoziationen zusagen, dann plädiere ich für die Einführung  von “hän” in die deutsche Sprache. Ein zusätzliches kleines Wort aus drei Buchstaben sollte doch machbar sein…

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